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BGH Urteil vom 08.10.1996 XI ZR 283/95

Disagiorückerstattungsanspruch bei vorzeitiger Beendigung des Darlehens

 

 

Leitsatz


1. Bei nicht subventionierten Darlehen ist das Disagio in der Regel als Vorauszahlung eines Teils der Zinsen anzusehen.

2. Macht der Kreditnehmer von einem Recht zur Kündigung des Darlehens wirksam Gebrauch, so hat die Bank das unverbrauchte Disagio zu erstatten. Ein Verzicht des Kreditnehmers auf den Erstattungsanspruch liegt fern.

3. Wird ein Darlehensvertrag mit fester Laufzeit durch fristlose Kündigung der Bank wegen schuldhafter Vertragsverletzung des Kreditnehmers vorzeitig beendet, so verbleibt das unverbrauchte Disagio in der Regel der Bank in vollem Umfang. Kann die Bank das vorzeitig zurückgezahlte Darlehen wegen des gestiegenen Zinsniveaus zu einem den effektiven Zins des beendeten Vertrages übersteigenden Zinssatz wieder anlegen, so muß sie sich diesen Vorteil anrechnen lassen.

4. Gleiches gilt, wenn die Bank auf Wunsch des Kreditnehmers der vorzeitigen Beendigung eines unkündbaren Vertrages zustimmt.

 

Orientierungssatz

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand


Die Parteien streiten über die Rückerstattung des unverbrauchten Disagios nach vorzeitiger Aufhebung eines Darlehensvertrages.
Die beklagte Hypothekenbank gewährte den Klägern am 28. Januar 1981 ein tilgungsfreies, durch eine Grundschuld gesichertes Darlehen über 430.000 DM mit fester Laufzeit bis zum 31. Dezember 1985 zur Finanzierung einer Eigentumswohnung. Der Auszahlungskurs betrug 91,25%, das Disagio also 37.625 DM, der jährliche Nominalzins während der gesamten Laufzeit 7%, der Effektivzins 9,6%. Das Kündigungsrecht der Kläger gemäß § 247 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. war vertraglich ausgeschlossen, da das Darlehen zur Deckungsmasse für Schuldverschreibungen gehörte.

Aus Anlaß der Veräußerung ihrer Eigentumswohnung baten die Kläger um vorzeitige Aufhebung des Darlehensvertrages. Die Beklagte erklärte sich damit im Falle der Tilgung des Darlehenskapitals von 430.000 DM zuzüglich Zinsen und Kosten und der Entrichtung einer Vorfälligkeitsentschädigung von 4.300 DM einverstanden. Nach vorbehaltloser Zahlung des gesamten von der Beklagten geforderten Ablösungsbetrages Ende Februar 1983 wurde deren Grundschuld gelöscht.

Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte habe das unverbrauchte, auf die nicht ausgenutzte Darlehensrestlaufzeit vom 1. März 1983 bis zum 31. Dezember 1985 entfallende anteilige Disagio von 21.682 DM, das den laufzeitabhängigen Zinsen zuzurechnen sei, zu erstatten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgen sie den Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

 

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in WM 1996, 440 ff. veröffentlicht ist, hat zur Begründung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt:
Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bestehe nicht. Zwar sei das Disagio von 8,75% laufzeitabhängiger Zinsersatz und daher bei vorzeitiger Vertragsbeendigung grundsätzlich nach § 812 Abs. 1 BGB anteilig zu erstatten. Das gelte jedoch nicht, wenn die Parteien die Erstattung im Rahmen der Vereinbarung über die vorzeitige Aufhebung des Darlehensvertrages ausgeschlossen hätten. So liege der Fall hier. Die vorbehaltlose Zahlung des verlangten Ablösungsbetrages durch die Kläger könne aus der Sicht der Beklagten nur als Annahme ihres Angebots zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages zu ihren Bedingungen, die einen Erlaß der anteiligen Disagiorückerstattung einschlössen, angesehen werden.

Auch der Bundesgerichtshof habe es für den Verbleib des gesamten Disagios bei der Bank ausreichen lassen, wenn der nicht verbrauchte Teil - wie hier - in die Kalkulation des frei vereinbarten Ablösungsbetrages erkennbar einbezogen worden sei (BGH ZIP 1994, 116). In der Entscheidung BGHZ 111, 287, 294 habe er allerdings strengere Anforderungen an einen Verzicht gestellt und verlangt, daß die Bank davon ausgehen dürfe, der Darlehensnehmer wolle ihr im Bewußtsein eines Anspruchs auf Erstattung des unverbrauchten Disagios die Bereicherungsschuld erlassen. Diese - vom Berufungsgericht für zu streng erachteten - Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Das Berufungsurteil weiche daher von der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab.

 

II.

Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung zwar im Ergebnis, nicht aber in allen Teilen der Begründung stand.

1. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, das vereinbarte Disagio sei als laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzinssatz anzusehen, wird von den Parteien nicht angegriffen. Er läßt einen Rechtsfehler auch nicht erkennen. Die notwendige Vertragsauslegung (BGHZ 111, 287, 288; Senatsurteil vom 11. Juli 1995 - XI ZR 28/95, WM 1995, 1617) ergibt, daß das Disagio als integraler Bestandteil der Zinskalkulation anzusehen ist. Dafür sprechen die Höhe des Disagios von 8,75%, die deutlich über den bei einer Darlehensgewährung entstehenden laufzeitunabhängigen Kosten liegt, und der im Vergleich zum durchschnittlichen Marktzins, der im Januar 1981 bei 9,62% lag (Monatsberichte der Deutschen Bundesbank S. 52), niedrigere Vertragszins von 7%.

2. Für seine Ansicht, als laufzeitabhängiger Zinsersatz könne das Disagio "daher bei vorzeitiger Vertragsbeendigung" vom Darlehensnehmer grundsätzlich nach § 812 BGB anteilig zurückverlangt werden, kann das Berufungsgericht zwar auf entsprechende Formulierungen in den Entscheidungen des Senats vom 29. Mai 1990 (XI ZR 231/89 - BGHZ 111, 287, 290), vom 12. Oktober 1993 (XI ZR 11/93 - WM 1993, 2003, 2004) und vom 16. November 1993 (XI ZR 70/93 - WM 1994, 13) verweisen. Diese Auffassung bedarf gleichwohl der präzisierenden Differenzierung. Ob die Bank zur Erstattung des anteiligen unverbrauchten Disagios verpflichtet ist, hängt entscheidend davon ab, aus welchem Grund der Vertrag vorzeitig beendet worden ist.

a) Endet der Vertrag, weil der Darlehensnehmer von einem Kündigungsrecht etwa nach § 247 Abs. 1 BGB a.F. oder nach § 609 a BGB Gebrauch macht oder beide Parteien übereinstimmend von einer wirksamen Kündigung durch den Darlehensnehmer ausgehen, so ist der Rechtsgrund für das unverbrauchte Disagio weggefallen. Dem Darlehensnehmer steht daher ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 BGB auf Erstattung des zeitanteiligen Disagios zu. Die Annahme, der Darlehensnehmer, der den geforderten Darlehensbetrag ohne Abzug des unverbrauchten Disagios vorbehaltlos begleicht, wolle der kreditgebenden Bank die - ihm in aller Regel unbekannte - Erstattungspflicht erlassen, liegt fern. Über solche Fälle hatte der Senat in den bereits angesprochenen Urteilen vom 29. Mai 1990 (XI ZR 231/89 - BGHZ 111, 287 ff.) und vom 12. Oktober 1993 (XI ZR 11/93 - WM 1993, 2003 ff.) zu entscheiden. In ihnen war deshalb, wie geschehen, die kreditgebende Bank zur Erstattung des anteiligen unverbrauchten Disagios zu verurteilen.

b) Wird ein Darlehensvertrag mit fester Laufzeit durch fristlose Kündigung der kreditgebenden Bank aus wichtigem Grund vorzeitig aufgelöst, weil der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen schuldhaft nicht nachgekommen ist, so steht der Bank ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, den sie durch die vorzeitige Beendigung des Vertrages erleidet (§ 249 BGB). Bei der Berechnung des Schadens ist das unverbrauchte Disagio ein unselbständiger Rechnungsposten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1994 - IX ZR 232/93, WM 1994, 1163, 1164). Da sich das bei Auszahlung des Darlehens fällige und einbehaltene Disagio ohne die fristlose Kündigung vollständig verbraucht hätte, muß das Disagio als Teil der rechtlich geschützten Zinserwartung grundsätzlich der Bank in vollem Umfang verbleiben. Eine Ausnahme kommt unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung allerdings in den - nicht sehr häufigen - Fällen in Betracht, in denen die Bank das vorzeitig zurückgezahlte Darlehen wegen des gestiegenen Zinsniveaus zu einem den effektiven Vertragszins übersteigenden Zinssatz wieder anlegen kann.

c) Wünscht der Kreditnehmer - wie hier - bei einem Darlehensvertrag mit fester Laufzeit dessen vorzeitige Beendigung, ohne zur Kündigung berechtigt zu sein, so darf die Bank die Vertragsaufhebung von der Zahlung einer angemessenen Vorfälligkeitsentschädigung abhängig machen (OLG Schleswig WM 1996, 442, 443; OLG Hamm WM 1996, 569, 570 f.). Sie muß es nicht hinnehmen, daß ihr durch die vorzeitige Auflösung ein wirtschaftlicher Nachteil entsteht. Ihr Begehren, finanziell so gestellt zu werden, wie sie bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrages bis zum Ende der festgelegten Laufzeit gestanden hätte, ist vielmehr ohne weiteres berechtigt.

Ohne vorzeitige Beendigung des Vertrages hätte sich, wie bereits dargelegt, das Disagio als laufzeitabhängiger Zinsersatz bis zum planmäßigen Ablauf des Vertrages verbraucht. Es ist deshalb im Regelfall nicht zu beanstanden, wenn die Bank der vorzeitigen Beendigung des Vertrages nur unter der Voraussetzung zustimmt, daß ihr auch das gesamte, bei Auszahlung des Darlehens einbehaltene Disagio verbleibt. Gibt sich die Bank mit dem unverbrauchten Disagio als Entschädigung nicht zufrieden, sondern berechnet sie die ihr infolge der vorzeitigen Vertragsbeendigung entgangenen Zinsen für die restliche Laufzeit des Darlehens auf der Grundlage des Effektivzinses, so muß sie den unverbrauchten Disagioanteil selbstverständlich in Abzug bringen, weil das Disagio im Effektivzins enthalten ist (Walter Weber NJW 1995, 2951, 2955; Wenzel in Metz/Wenzel, Vorfälligkeitsentschädigung Rdn. 263). Das unverbrauchte Disagio ist somit ein Rechnungsposten der Vorfälligkeitsentschädigung, die die Bank beanspruchen kann und erfahrungsgemäß in aller Regel auch verlangt (Bellinger/Kerl, Hypothekenbankgesetz 4. Aufl. vor §§ 14 - 21a Rdn. 27), wenn sie sich mit einer vom Kunden gewünschten, in dessen Interesse liegenden vorzeitigen Vertragsauflösung einverstanden erklärt.

3. Dem ist bei der Auslegung einer Beendigungsvereinbarung, die über die Erstattung des unverbrauchten Disagios keine ausdrückliche Regelung enthält, Rechnung zu tragen. Stimmt eine Bank der vom Kunden gewünschten vorzeitigen Darlehensrückzahlung unter der Voraussetzung zu, daß der gesamte Darlehensrest zuzüglich Zinsen getilgt wird, so kann der Kreditnehmer die Zustimmungserklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Interessenlage bei unverändertem oder gesunkenem Zinsniveau vernünftigerweise nur dahin verstehen, das unverbrauchte Disagio solle der Bank als Vorfälligkeitsentschädigung verbleiben. Das gilt auch dann, wenn über das Disagio, das zur rechtlich geschützten Zinserwartung der Bank gehört, nicht gesprochen worden ist. Der Kreditnehmer hat ohne besondere Anhaltspunkte keinen Grund zu der Annahme, die Bank wolle ihn ohne eine Entschädigung für die ihr entgangenen Zinsen aus dem Vertrag entlassen.

Fern liegt eine solche Auslegung vor allem dann, wenn die Bank nicht nur die Tilgung des offenen Darlehens, das den gesamten Disagiobetrag einschließt, sondern zusätzlich eine besonders ausgewiesene "Vorfälligkeitsentschädigung" verlangt (vgl. OLG Celle WM 1996, 439, 440), die hier mit 4.300 DM erheblich niedriger bemessen ist als das unverbrauchte Disagio von 21.682 DM. Das gilt besonders, wenn das Hypothekenzinsniveau - wie hier - seit Ausreichung des Darlehens deutlich gesunken ist (Senatsbeschluß vom 23. November 1993 - XI ZR 66/93, ZIP 1994, 116).

Der Bank entgeht dann durch die vorzeitige Tilgung des Darlehens für die restliche Darlehenslaufzeit nicht nur der Nettozinsgewinn, d.h. die Zinsdifferenz zwischen den vereinbarten Darlehenszinsen und den Refinanzierungskosten einschließlich Verwaltungsaufwendungen und Risikoprämie (Zinsmargenschaden). Sie erleidet vielmehr auch noch einen Zinsverschlechterungsschaden, weil sie das vorzeitig zurückerhaltene Darlehenskapital für die Restlaufzeit des aufgehobenen Vertrages nur zu einem niedrigeren als dem effektiven Vertragszins wieder ausreichen kann.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Auslegung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten sich in dem geschlossenen Aufhebungsvertrag über den Verbleib des unverbrauchten Disagios bei der Beklagten geeinigt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

4. Für ihre gegenteilige Ansicht kann sich die Revision nicht mit Erfolg auf das Urteil des Senats vom 16. November 1993 (XI ZR 70/93, WM 1994, 13 f.) berufen. Darin ist ausgeführt, die Tatsache, daß der Kreditnehmer die Abrechnung der Bank unbeanstandet lasse, rechtfertige nicht die Annahme eines Forderungsverzichts, auch wenn in die Abrechnung die volle restliche Darlehenssumme eingesetzt war. Daran ist für den entschiedenen Fall festzuhalten. Die Entscheidung ist aber, wie in der Rechtsprechung (OLG Schleswig WM 1996, 442, 444), von einem Teil der Literatur (Wenzel EWiR 1994, 25 f.; Walter Weber WuB I E 4. - 3.94) und der Revisionserwiderung zutreffend erkannt worden ist, nicht verallgemeinerungsfähig. Sie betrifft einen atypisch gelagerten Einzelfall und steht nicht in Widerspruch zum Nichtannahmebeschluß des Senats vom 23. November 1993 (XI ZR 66/93, ZIP 1994, 116).

Im Fall, der am 16. November 1993 zu entscheiden war, wurde die Aufhebung des im August 1985 zu einem Effektivzins von etwa 8,4% ausgereichten zehnjährigen Festzinsdarlehens zu einem Zeitpunkt (Mai 1990) vereinbart, als der durchschnittliche Effektivzinssatz für entsprechende Hypothekarkredite mit fünfjähriger Laufzeit auf 9,8% gestiegen war (Monatsberichte der Deutschen Bundesbank S. 52). Die kreditgebende Bank war deshalb in der Lage, das vorzeitig zurückerhaltene Darlehenskapital von rund 210.000 DM für die Restlaufzeit von mehr als 5 Jahren zu einem um 1,4% höheren Zins wieder anzulegen. Dieser Vorteil, der bei der Bemessung einer Entschädigung für entgangene Zinsen nicht unberücksichtigt bleiben darf, machte für die restliche Laufzeit des vorzeitig abgelösten Darlehens einen Betrag von mehr als 15.000 DM aus und überstieg damit das in jenem Fall streitige unverbrauchte Disagio von 9.075 DM erheblich. Die vorzeitige Tilgung des Darlehens war für die Bank daher anders als im Fall, den der Senat am 23. November 1993 zu entscheiden hatte, wirtschaftlich nicht nachteilig.

5. Zu einer Überprüfung der besonders ausgewiesenen Vorfälligkeitsentschädigung von 4.300 DM bietet die Klage keinen Anlaß. Die Rückzahlung dieses Betrages wird von den Klägern nicht begehrt; ausreichendes Vorbringen zur Unangemessenheit der Entschädigung fehlt.

 

III.

Die Revision der Kläger war daher als unbegründet zurückzuweisen.

(BGH, Urteil vom 08. Oktober 1996 – XI ZR 283/95 –, BGHZ 133, 355-362, Rn. 21)