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Bundesgerichtshof
Urteil vom 11.02.1981
VIII ZR 335/79


Wer verurteilt ist, eine Bestimmung in seinen AGB nicht mehr zu verwenden, darf sich auch bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge nicht mehr auf diese Bestimmung berufen.

 

Zum Sachverhalt:

Die Beklagte – eine GmbH & Co. KG – verkauft in ihrem Einzelhandelsgeschäft neue Möbel. Ihren Kaufverträgen legt sie ihre AGB zugrunde, die zur Lieferfrist folgendes bestimmen:

„Nach Ablauf der vereinbarten Lieferfrist ist der Käufer berechtigt, uns schriftlich eine vierwöchige Nachfrist – beginnend vom Tage der schriftlichen Inverzugsetzung durch den Käufer – zur Lieferung zu setzen und bei Nichteinhaltung dieser Frist vom Vertrag zurückzutreten.“

Der Kl. – ein Verbraucherschutzverein – hält diese Klausel gem. § 10 Nr. 2 AGB-Gesetz deswegen für unwirksam, weil die einheitlich auf vier Wochen bemessene Nachfrist unangemessen lang sei. Er hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen und von ihr verlangt, im nichtkaufmännischen Rechtsverkehr nicht nur in künftig abzuschließende Verträge diese Klausel nicht mehr aufzunehmen, sondern sich auch bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge nicht mehr auf diese Klausel zu berufen.

Die Vorinstanzen haben dem Unterlassungsbegehren des Klägers. nur für künftig abzuschließende Verträge entsprochen, dagegen die Klage insoweit abgewiesen, als der Beklagte auch die Berufung auf diese Klausel bei bereits abgeschlossenen Kaufverträgen untersagt werden soll. Die – zugelassene – Revision des Klägers führte zur umfassenden Verurteilung der Beklagten.

Aus den Gründen:

I.    Es geht im Revisionsrechtszug ausschließlich um die Frage, ob im Verfahren nach §§ 13 ff. AGB-Gesetz der Verwender einer nach Maßgabe der §§ 9 bis 11 AGB-Gesetz unwirksamen Klausel verpflichtet werden kann, sich auch bei Verträgen, die nach dem 01.04.1977, aber vor Erlass des Unterlassungsurteils abgeschlossen sind, seinen Kunden gegenüber auf eine derartige Klausel nicht mehr zu berufen. Das BerGer. hat diese Frage verneint. Es ist der Ansicht, dass bereits nach dem Wortlaut des § 13 I i. V. mit § 1 I AGB-Gesetz sowie nach dem Wesen der – nur auf zukünftiges Verhalten gerichteten – Unterlassungspflicht der Verwender von AGB lediglich hinsichtlich künftig abzuschließender Verträge auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne. Für ein Verbot, bereits bestehender Verträge nach Maßgabe der unwirksamen Klausel abzuwickeln, fehle es – möge dies im Ergebnis auch unbillig erscheinen – an einer gesetzlichen Grundlage.

II.    Diese Ansicht des BerGer. hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1.    Die Frage, ob im Verfahren nach §§ 13 ff. AGBG-Gesetz der Verwender einer unwirksamen Klausel auch hinsichtlich der noch offenen Abwicklung bereits abgeschlossene Verträge auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, ist im Schrifttum umstritten. Löwe (in: Löwe-Graf v. Westphalen-Trinkner, AGBGesetz, § 17 Rdnr. 33, § 21 Rdnrn. 20 f.) und Schlosser (in Schlosser-Coester-Waltjen-Graba, AGB-Gesetz, § 13 Rdnr. 35, § 21 Rdnr. 6; Staudinger-Schlosser, BGB, 12. Auflage, § 13 AGB-Gesetz Rdnr. 29) bejahen diese Frage unter Hinweis darauf, dass andernfalls der mit dem Verfahren nach §§ 13 ff. AGB-Gesetz beabsichtigte Rechtsschutz des Vertragspartners eines Verwenders unwirksamer Klauseln unvollständig sei. Andere verneinen – mit unterschiedlicher Begründung – eine Unterlassungspflicht hinsichtlich bereits abgeschlossener Verträge (vgl. etwa hensen, in: Ulmer-Brandner-Hensen, AGB-Gesetz, 3. Auflage, § 21 Rdnr. 4; Rebmann, in: Dietlein-Rebmann, AGB aktuell, § 21 Rdnr. 2; Palandt-Heinrichs, BGB, 40. Auflage, § 21 AGB-Gesetz Anm. 3c; Koch-Stübing, AGB-Gesetz; § 13 Rdnr. 19; Gerlach, in: MünchKomm, § 13 AGB-Gesetz Rdnr. 23; Hohmann, JZ 1975, 594).

2.    Der Senat teilt die von Löwe (§ 17 Rdnr. 33 und § 21 Rdnr. 20f.) und Schlosser (§ 13 Rdnr. 35 und § 21 Rdnr. 6) vertretene Ansicht.

a)    Aus dem Wortlaut des § 13 I AGB-Gesetz lassen sich keine zwingenden Schlüsse für die Beantwortung der hier streitigen Frage herleiten. Zwar kann nach dieser Bestimmung nur derjenige auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, der in AGB unwirksame Bestimmungen verwendet; und § 1 I 1 AGB-Gesetz bezeichnet in einem Klammerzusatz alle diejenigen als „Verwender“, die der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages vorformulierte Vertragsbedingungen stellen. Überzeugend weist jedoch Schlosser (bei Staudinger, § 13 Rdnr. 13) darauf hin, dass der Klammerzusatz in § 1 I AGB-Gesetz – einer Bestimmung, die im übrigen in erster Linie die Definition der „AGB“ zum Inhalt hat – offensichtlich lediglich die unterschiedliche Funktion der beiden am Vertragsschluss beteiligten Parteien darstellen soll. Eine gesetzliche Regelung dahingehend, dass nur derjenige, der seine vorformulierten Bedingungen bei Abschluss des Vertrages dem anderen Vertragsteil stellt, als Verwender gem. § 13 I AGB-Gesetz auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, nicht dagegen auch derjenige, der sich später auf eine bei Vertragsabschluss – wenn auch unwirksam – zum Vertragsinhalt erhobene Klausel beruft, lässt sich jedenfalls allein aus dem Wortlaut der §§ 1 I, 13 I AGB-Gesetz nicht herleiten (so auch Löwe, § 17 Rdnr. 33; a. M. insb. Hensen § 21 Anm. 2).

b)    Auch die Entstehungsgeschichte des § 13 AGB-Gesetz ermöglicht keine zwingenden Rückschlüsse auf den Regelungsbereich dieser Bestimmung. Zwar ist die Regelungsbedürftigkeit der hier umstrittenen Frage im Gesetzgebungsverfahren erkannt worden. Schon die vom Bundesminister der Justiz eingesetzte Arbeitsgruppe zur Verbesserung des Verbraucherschutzes gegenüber AGB- auf deren Vorarbeiten der Regierungsentwurf und die späteren Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft zum AGB-Gesetz maßgeblich aufbauen, hat in ihrem Ersten Teilbericht vom 26.03.1974 (s. dort S. 115) die Ansicht vertreten, dass diejenigen Verträge, denen der zur Unterlassung verur-teilte Teil seine unwirksamen AGB bereits früher zugrunde gelegt habe, in ihrer Wirksamkeit von dem Unterlassungsgebot nicht berührt würden; die Arbeitsgruppe hat dementsprechend in ihrem Zweiten Teilbericht vom März 1975 unter These 11 die Erstreckung einer Bindungswirkung des Unterlassungsurteils auch auf bereits vor deren Rechtskraft abgeschlossne Verträge, soweit sie nicht schon vollständig abgewickelt seien, vorgeschlagen (S. 47 ff.). Und auch der Rechtsausschuss des Bundestages scheint bei seinen Beratungen davon ausgegangen zu sein, dass die später Gesetz gewordene Fassung eine solche Bindungswirkung nicht enthält (BT-Dr 7/5422, S. 13 zu § 21). Insgesamt haben jedoch diese im Gesetzgebungsverfahren angestellten Erwägungen – wie oben unter a dargelegt – im Gesetzeswortlaut keinen hinreichend deutlichen Niederschlag gefunden.

c)    Entscheidend ist mithin auf den mit der Schaffung der Unterlassungsklage (§§ 13 ff. AGB-Gesetz) beabsichtigten Zweck abzustellen. Dieser gebietet aber notwendig eine Erstreckung der nach § 13 I AGB-Gesetz ausgesprochenen Unterlassungspflicht auch auf Verträge, die unter Einbeziehung der später für unwirksam erklärten Klausel bereits vor Erlass des Unterlassungsurteils abgeschlossen sind:

aa) Wie der Senat wiederholt ausgeführt hat, verfolgt das Verfahren nach §§ 13 ff. AGB-Gesetz den Zweck, den Rechtsverkehr von sachlich unangemessenen Klauseln freizuhalten. Insbesondere soll die den Verbänden eingeräumte Klagebefugnis verhindern, dass sich eine rechtunkundige Vertragspartei, wenn ihr von dem Verwender eine nach §§ 9 ff. AGB-Gesetz unwirksame Klausel entgegengehalten wird, von vorneherein von einer Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Rechte abhalten lässt (vgl. Senat, NJW 1980,831 = WM 1980, 130 NJW 1981, 979). Dieser Schutz würde aber nur unvollkommen erreicht, wenn es dem Verwender einer im Verfahren nach §§ 13 ff. AGB-Gesetz für unwirksam erklärten Klausel gestattet wäre, sich gleichwohl im Rechtsverkehr bei der Abwicklung bereits vorher abgeschlossner Verträge und damit bei der Durchsetzung seiner Rechte noch auf eine derartige – wie er weiß – unwirksame Klausel zu berufen, und wenn es damit weitgehend vom Zufall abhinge, ob der Vertragspartner es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen lässt und in diesem Individualrechtsstreit zwischen Verwender und Kunden das Gericht die Unwirksamkeit der Klausel feststellt.

bb)    Aber auch der mit § 21 AGB-Gesetz verfolgte Zweck, widerspruchsvolle gerichtliche Entscheidungen über die Unwirksamkeit einer Klausel zu vermeiden, würde nur unvollkommen erreicht, wenn die Bindung des im Individualrechtsstreit entscheidenden Gerichts an ein im Verfahren nach §§ 13 ff. AGB-Gesetz erlassenes Urteil diejenigen Fälle nicht erfassen würde, in denen der Verwender sich in einem vor Erlass des Urteils abgeschlossenen Vertrag auf eine solche Klausel beruft. Soweit ausnahmsweise im Individualrechtsstreit der Betroffene sich auf die Unwirksamkeit einer solchen Klausel – aus welchen Gründen auch immer – nicht beruft, verstößt der Verwender deswegen nicht gegen das Unterlassungsgebot, weil es dann auch auf seiner Seite an einer „Berufung“ auf eine unwirksame Klausel und damit zu einem Verwenden i. S. der §§ 13, 21 S. 1 AGB-Gesetz fehlt.

cc)    Schutzwürdige Belange des Verwenders einer unwirksamen Klausel werden durch diese – vom Normzweck her gebotene – Auslegung des § 13 I AGB-Gesetz nicht berührt. Insbesondere enthält sie keine mit dem Unterlassungsgebot nicht zu vereinbarende Verpflichtung, die Folgen einer zunächst vereinbaren, nachträglich als unwirksam festgestellten Klausel rückwirkend zu beseitigen. Von dem Verwender einer solchen Klausel wird nicht verlangt, bereits abgewickelte Verträge rückabzuwickeln oder den Vertragspartner von sich aus vorsorglich auf die Unangemessenheit der Klausel aufmerksam zu machen. Die Unterlassungspflicht des Verwenders geht vielmehr – für die Zukunft und damit ohne Rückwirkung – lediglich dahin, sich bei der Durchsetzung seiner Rechte nicht auf die unwirksame Klausel zu berufen, sie insoweit nicht zu „verwenden“ und lediglich nach Maßgabe des dispositiven Rechts (§ 6 II AGB-Gesetz) vorzugehen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Verwenders wird dadurch nicht beeinträchtigt. Ganz abgesehen davon, dass die Verwendung einer nach §§ 9 ff AGB-Gesetz unwirksamen Klausel, auch wenn ihre Unwirksamkeit erst später gerichtlich festgestellt wird, kein Vertrauen rechtfertigt, wird dem Verwender im Verfahren nach §§ 13 Rdnr. 19 ) – die Ansicht vertreten wird, angesichts der mit der Unterlassungspflicht verbundenen Strafbewehrung (§ 890 ZPO) sei eine extensive Auslegung des § 13 I AGB-Gesetz auf einen „so diffusen Sachverhalt wie das Berufen auf eine unwirksame Klausel“ unzulässig, ist darauf hinzuweisen, dass die detaillierten Anforderungen an die Urteilsformel im Unterlassungsverfahren (§17 AGB-Gesetz) dem Betroffenen die sich für ihn künftig ergebenden Pflichten hinreichend deutlich vor Augen führen.

III. Mit Recht erstrebt daher der Kläger die Erstreckung der Unterlassungspflicht auch auf diejenigen Fälle, in denen die Beklagte die nach § 10 Nr. 2 AGB-Gesetz unwirksame Klausel bereits durch ihre AGB in einen vor Urteilserlass abgeschlossenen, aber noch nicht abgewickelten Vertrag eingeführt hat und sich nach Urteilserlass zur Durchsetzung ihrer Rechte auf diese Klausel berufen will.