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Bundesgerichtshof
Urteil vom 12.10.1993
XI ZR 11/93

 

Tatbestand

Die Beklagte, eine Volksbank, gewährte den Klägern am 13. März 1981 zur Finanzie-rung eines Bauvorhabens ein zweitrangig abgesichertes Darlehen in Höhe von 920.000 DM zum Auszahlungskurs von 95%. Nach Nr. 2 des Darlehensvertrages war das Darlehen "bis auf weiteres mit 9,25% jährlich zu verzinsen"; die Bank sollte be-rechtigt sein, "den Zinssatz zu ändern, wenn sie dies (z.B. wegen der Entwicklung am Geld- und Kapitalmarkt) für erforderlich hält". Von der Möglichkeit, durch Ankreuzen unter Nr. 3 des Formularvertrags Nebenleistungen, wie einmalige Bearbeitungsge-bühr, Vorfälligkeitsentschädigung etc., zu vereinbaren, machten die Parteien keinen Gebrauch. Nr. 4 des schriftlichen Vertrags sah eine jährliche Tilgung in Höhe von 1,5% vom ursprünglichen Darlehensbetrag vor; darüber hinaus bestand zwischen den Parteien nach ihrem übereinstimmenden erstinstanzlichen Vorbringen Einigkeit, dass das Darlehen zum 1. Februar 1999 vollständig zurückgezahlt werden sollte. Eine vorzeitige Kündigung war nach Nr. 5 der Vertragsurkunde mit einer Frist von drei Mo-naten zum Schluss eines jeden Kalendervierteljahres möglich.

Mitte 1986 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, aufgrund dessen die Beklagte am 21. Juli 1986 die noch offenstehende Darlehensvaluta zurückerhielt. 1991 forderten die Kläger die anteilige Rückerstattung des 5%-igen Disagios. Die Be-klagte ging im anschließenden Schriftwechsel selbst davon aus, dass die vorzeitige Ablösung zwar eine solche Erstattung in Höhe von 24.504,20 DM rechtfertige; sie be-rief sich aber auf Verjährung des Anspruchs. Mit der - am 25. Februar 1992 zugestell-ten - Klage haben die Kläger Zahlung von 10.000 DM als Teilbetrag des von ihnen mit 32.233,11 DM berechneten Erstattungsanspruchs verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision begehren die Kläger die Wieder-herstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht.

I.
Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil (ZIP 1993, 587) zur Begründung der Kla-geabweisung ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob die Kläger einen Anspruch auf Rückerstattung eines nicht verbrauchten Disagioanteils hätten. Seiner Durchsetzung stehe jedenfalls die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Für den Erstattungsanspruch aus § 812 BGB gelte nämlich nicht die 30-jährige Frist des § 195 BGB, sondern die 4-jährige des § 197 BGB. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei das Disagio in der Regel den laufzeitabhängigen Zinsen zuzurechnen (BGHZ 111, 287). Auf Zinserstattungsansprüche aber habe der Bundesgerichtshof, falls die Zinsen aufgrund eines nichtigen Kreditvertrags in re-gelmäßigen Raten zu zahlen gewesen seien, § 197 BGB selbst dann angewandt, wenn die Vertragspartner später eine Schlusszahlung zur vorzeitigen Ablösung der Restschuld vereinbart hätten (Urteil vom 7. Dezember 1989 - III ZR 270/88 = WM 1990, 134). Diese Rechtsprechung müsse konsequenterweise auch bei einem Disagio mit Zinscharakter angewandt werden, weil es ebenfalls anteilig in den vereinbarten Darlehensraten zurückzuzahlen gewesen sei und weil es sich deshalb auch bei der Rückzahlung des anteiligen Disagios um regelmäßig wiederkehrende Teilleistungen handele.

II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung weder in der Begründung noch im Ergebnis stand:

1. Auf Verjährung kann die Klageabweisung nicht gestützt werden.

a) Auch wenn ein vereinbartes Disagio nach dem Willen der Vertragsparteien den laufzeitabhängigen Zinsen zuzuordnen ist, reicht das allein nicht aus, um den bei vor-zeitiger Vertragsbeendigung entstehenden Anspruch des Darlehensnehmers auf an-teilige Erstattung in der kurzen Frist des § 197 BGB verjähren zu lassen. Ansprüche aus § 812 BGB auf Rückzahlung rechtsgrundlos geleisteter Zinsbeträge sind keine "Ansprüche auf Rückstände von Zinsen" im Sinne des § 197 BGB. Eine analoge An-wendung der Verjährungsvorschrift mit der undifferenzierten Begründung, das Be-dürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bestehe in beiden Fällen in gleicher Weise, ist nicht möglich. Daher hat der erkennende Senat die kurze Verjährung bei Bereicherungsansprüchen verneint, die sich ergeben, wenn für ein Annuitätendarlehen aufgrund einer nichtigen AGB-Klausel zu hohe Zinsen verlangt und gezahlt worden sind (BGHZ 112, 352). Auch der III. Zivilsenat (BGHZ 98, 174, 181; Urteil vom 7. Dezember 1989 - III ZR 270/88 = WM 1990, 134) hat Ansprüche auf Rückzahlung rechtsgrundlos geleisteter Ratenkreditzinsen der kurzen Verjährung nach § 197 BGB nicht etwa deswegen unterworfen, weil sie den in der Vorschrift genannten Zinsansprüchen gleichzustellen seien; vielmehr ist nur die letzte Tatbestandsalternative "andere regelmäßig wiederkehrende Leistungen" für anwendbar erklärt worden.

b) Diese Tatbestandsalternative ist nach der zitierten Rechtsprechung des III. Zivilse-nats zum Ratenkreditvertrag dort nur deswegen zu bejahen, weil bei Nichtigkeit des zugrundeliegenden Vertrages mit jeder Ratenzahlung jeweils ein sofort fälliger Rück-zahlungsanspruch des Kreditnehmers in Höhe des in der Rate enthaltenen Kreditkos-tenanteils entsteht; da die einzelnen Ratenzahlungen ihre gemeinsame Ursache in der Vorstellung des Kreditnehmers haben, er sei zu der regelmäßigen Leistung ver-pflichtet, ist auch der Bereicherungsanspruch seiner Natur nach auf Zahlungen ge-richtet, die nicht einmal, sondern in regelmäßiger zeitlicher Wiederkehr zu erbringen sind; in diesem Gesamtzusammenhang müssen auch später vereinbarte einzelne Sonderzahlungen des Kreditnehmers gesehen werden, nur so läßt sich eine einheitli-che Anwendung des § 197 BGB bei nichtigen Ratenkreditverträgen rechtfertigen (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1989 aaO).

Anders liegt es dagegen, wenn - wie hier - ein Darlehensvertrag die Vereinbarung ei-nes laufzeitabhängigen Disagios enthält, dann aber vorzeitig beendet wird. Die Ver-pflichtung des Darlehensnehmers zur Disagiozahlung wird vereinbarungsgemäß bei Kreditauszahlung sofort in vollem Umfang fällig und in diesem Zeitpunkt auch sogleich im Wege der Verrechnung voll erfüllt (vgl. BGHZ 111, 287, 294; BGH, Urteil vom 1. Juni 1989 - III ZR 219/87 = WM 1989, 1011, 1013 zu II 1 e). Aufgrund der Ver-rechnung mit dem Disagio steht dem Darlehensgeber - trotz geringerer Auszahlung - ein Rückzahlungsanspruch in voller Höhe des Darlehensbetrages zu; spätere Teil-zahlungen des Darlehensnehmers werden auf diesen Anspruch geleistet; sie enthalten - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - keine anteiligen Zahlungen mehr auf das Disagio. Der Bereicherungsanspruch des Darlehensnehmers auf Disagioerstattung in Höhe des Anteils, der auf die Zeit nach der vorgezogenen Ver-tragsbeendigung entfällt, entsteht nicht abschnittsweise, sondern im Zeitpunkt der vorzeitigen Kreditvertragsbeendigung in seinem vollen Umfang. Eine Anwendung des § 197 BGB findet daher in Inhalt und Rechtsnatur dieses Anspruchs keine hinrei-chende Grundlage; es gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB.

2. Die Klageabweisung stellt sich auch nicht aus anderen, vom Berufungsgericht nicht erörterten Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Mit Recht hat vielmehr das Landgericht den Anspruch auf anteilige Disagioerstattung in der verlangten Höhe von 10.000 DM für begründet erachtet und den Klägern 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit zugesprochen.

Die Beklagte selbst war im vorprozessualen Schriftwechsel davon ausgegangen, daß durch die vorzeitige Kreditvertragsaufhebung ein solcher Anspruch der Klägerin in Höhe von 24.504,20 DM entstanden war; sie hatte sich lediglich auf dessen Verjäh-rung berufen. Ihre später im Prozess, insbesondere im Berufungsverfahren, vorge-brachten Einwendungen zum Anspruchsgrund greifen nicht durch:

a) Das Disagio ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BGHZ 111, 287) in der Regel als laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins anzusehen und kann daher bei vorzeitiger Vertragsbeendigung vom Darlehensnehmer gemäß § 812 BGB anteilig zurückverlangt werden. Davon geht auch die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung aus; nach ihrem eigenen Sachvortrag lag der übliche Zinssatz für zweitrangig gesicherte Baudarlehen bei Vertragsabschluß weit höher als 9,25%.

b) Eine Ausnahme von der Auslegungsregel zu a) ist hier nicht deswegen gerechtfer-tigt, weil der Darlehensvertrag der Parteien eine Kündigung mit einer Frist von drei Monaten zum Schluss eines jeden Kalendervierteljahres vorsah. Daraus ergibt sich nicht, dass der Beklagten bei einer solchen Kündigung das gesamte Disagio verblei-ben sollte; gerade für den Fall, dass ein längerfristig geplantes Darlehensverhältnis vorzeitig beendet wird, gilt die Auslegungsregel zu a). Die gegenteilige Auffassung hätte der Beklagten das Recht gegeben, das am 13. März 1981 gewährte Darlehen bereits zum 30. Juni 1981 zu kündigen, trotzdem aber das vereinbarte Disagio von 5% ganz zu behalten; ein solches Auslegungsergebnis kann nicht überzeugen.

c) Eine zeitanteilige Rückerstattung des Disagios scheitert auch nicht daran, dass der schriftliche Vertrag die vereinbarte Laufzeit des Darlehens nicht ausdrücklich festlegt. Aus dem Verwendungszweck (Baufinanzierung), der Höhe der vereinbarten jährlichen Tilgung (1,5%) und der Zinsanpassungsklausel ergibt sich, dass es sich nicht von vornherein nur um ein kurzfristiges Darlehen handeln sollte. Darüber hinaus war im ersten Rechtszug unstreitig, dass die Parteien sich bei Vertragsschluss über eine Laufzeit bis zum 1. Februar 1999 einig waren; die Beklagte hatte eine solche - formlos gültige - Vereinbarung ausdrücklich zugestanden. Von der Bindung an dieses Ge-ständnis nach § 288 ZPO konnte die Beklagte sich in der Berufungsinstanz nur durch Widerruf gemäß § 290 ZPO befreien; dessen Voraussetzungen aber hat sie nicht dargetan.

d) Auch die Zinsänderungsklausel unter Nr. 2 des Darlehensvertrags steht der Ausle-gung, das Disagio sei als Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins während der vorgesehenen Gesamtlaufzeit bis zum 1. Februar 1999 vereinbart worden, nicht ent-gegen. Die Zinsklausel gab der Beklagten nicht das Recht, die von den Klägern zu zahlenden Zinsen bei einer Änderung der Geld- oder Kapitalmarktverhältnisse auf die Höhe der Durchschnittszinsen für Darlehen ohne Disagio heraufzusetzen. Die Be-klagte sollte lediglich berechtigt sein, den Vertragszinssatz den Marktveränderungen gemäß § 315 BGB anzupassen (BGHZ 97, 212, 217); sie musste dabei die verein-barten Besonderheiten berücksichtigen und durfte die Zinskonditionen nicht in ihrem Grundgefüge zu ihren Gunsten verändern (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 340/89 = WM 1991, 179, 182 a. E.; ferner OLG Köln NJW-RR 1992, 375, 376).

e) Schließlich liegt darin, dass die Kläger bei der Ablösung des Darlehens im Juli 1986 keinen Vorbehalt hinsichtlich ihrer Disagioerstattungsansprüche gemacht haben, kein Verzicht (BGHZ 111, 287, 294 a. E.). Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf das Urteil des OLG Köln WM 1992, 1123 beruft, verkennt sie, dass sich dieses Urteil ausdrücklich nur mit der Rechtslage unter der Geltung des § 609 a BGB befasst, der zum 1. Januar 1987 den bisherigen § 247 BGB ersetzt hat. Der hier zu beurteilende Darlehensvertrag der Parteien war jedoch bereits 1981 geschlossen worden; auf ihn ist daher nur § 247 BGB a. F. anzuwenden. Im übrigen hat der erkennende Senat inzwischen klargestellt, dass sich nach seiner Auffassung die Rechtslage, soweit es um einen Ausschluss des Anspruchs auf Rückzahlung eines nicht verbrauchten Disagios geht, durch das Außerkrafttreten des § 247 BGB a. F. nicht geändert hat (Senatsbeschluss vom 16. März 1993 - XI ZR 189/92, bisher nicht veröffentlicht, für BGHR vorgesehen).

f) Der Höhe nach bestehen gegen den Klageanspruch, der sich auf einen Teilbetrag von 10.000 DM beschränkt, keine Bedenken.